Programmnotizen

Programmfolge
„Im Neuen, das Alte“

 

Johan de Meij (*1953)
Ceremonial Fanfare for Brass and Percussion

Joaquín Rodrigo (1901-1999)
Adagio para orchestra de instrumentos de viento

Gordon Jacob (1895-1984)
Old wine in new bottles

  1. The wraggle taggle gipsies
  2. The three ravens
  3. Begone, dull care
  4. Early one morning

 

David Maslanka (1943-2017)
Recitation Book (Auszüge)

  1. „Ecco moriro dunque“ (Gesualdo die Venosa, 1596)
  2. Meditation über den gregorianischen Choral „O Salutaris Hostia“
  3. „Broken Heart“: Meditation über die Choralmelodie „Der du bist drei in Einigkeit“
  4. Präludium und Choral: Meditation über die Choralmelodie „Jesu meine Freude“

 

Philip Sparke (*1951)
Overture for Woodwinds

John Mackey (*1973)
Sheltering Sky

Malcolm Arnold (1921-2006)
Water Music

  1. Allegro maestoso
  2. Andantino
  3. Vivace

 

 

Programmnotizen

 

Wenn altbekannte Meister der Bläsermusik wie Johan de Meij, Philip Sparke oder David Maslanka auf dem Programm eines Kammermusikkonzertes stehen, dann gilt es einmal mehr, das Neue im Alten aufzuspüren. Denn für gewöhnlich erklingen eben jene Komponisten in voller sinfonischer Stärke. Dass aber allesamt auch im kammermusikalischen Rahmen kompositorisch rege aktiv waren, mag einen neuen Blick auf das Schaffen jener Komponisten werfen.

Und so eröffnen wir unser Programm mit einer imposanten Blechbläser-Fanfare des niederländischen Komponisten Johan de Meij (*1953), der wie kein anderer die moderne Bläserliteratur mit seinen Arrangements, Transkriptionen und Originalwerken für sinfonisches Blasorchester vorangetrieben hat. So spielte die Bläserphilharmonie Osnabrück in der Vergangenheit neben diversen Bearbeitungen u.a. seine Erste Sinfonie Der Herr der Ringe (2013) und seine vierte, die Sinfonie der Lieder im Gedenken an Gustav Mahler (2017).
Als Posaunist vermag es de Meij gerade auch für Blechbläser herausfordernd und zugleich musikalisch qualitativ zu komponieren. Bässe und Schlagwerk eröffnen zunächst fulminant die Ceremonial Fanfare, worauf Hörner, später Posaunen und dann Trompeten majestätisch mit ankündigendem Gestus das Hauptthema vorbereiten. Im 3/4 -Takt schwingt sich dieses als eine anmutige Horn-Melodie empor, die nach kurzen Eintrübungen vom gesamten Tutti übernommen wird, bevor das anfängliche Fanfaren-Material in gesteigerter Weise wieder aufgegriffen wird und sich zum Ende energetisch entlädt.

 

Der Spanier Joaquín Rodrigo (1901-1999) wird häufig auf sein berühmtes Gitarrenkonzert Concierto de Aranjuez reduziert, wenngleich Rodrigo ein vielseitiger und produktiver Komponist war. Sein Adagio para orquesta de instrumentos de viente lehnt sich stark in Melodik und Harmonik an den zweiten Satz jenes populären Gitarrenkonzertes an. Prägend war für Rodrigo die Begegnung mit dem Komponisten Manuel de Falla. Von ihm und Paul Dukas beeinflusst, entwickelte Rodrigo einen Personalstil, der vor allem neoklassizistische Elemente mit spanischer Folklore verband. Dabei übernahm er häufig leicht verändert typische Figuren des 16. bis 18. Jahrhunderts oder bearbeitete Stücke alter spanischer Meister.
Das Adagio für Bläser folgt dieser Stilistik. Die einsätzige Komposition gliedert sich in mehrere ruhige, von einem erzählenden, gedankenverlorenen Duktus geprägte Adagio-Teile, die von Querflöte, Oboe und Klarinette solistisch vorgetragen, jene spanischen Assoziationen hervorrufen mögen. Dagegen setzt Rodrigo immer wieder wilde, ungestüm dahinbrausende Allegro-Teile, die fanfarenartige Fragmente über eine unbändige Kette von Sechszehnteln entwickeln und durch die einzelnen Strukturen wandern. Rodrigos Werke stehen im Rahmen der Tonalität, er reicherte seine Harmonik aber gerne – und dies gerade in jenen kontrastiv eingesetzten B-Teilen – mit harschen Dissonanzen an.

 

Das Alte im Neuen wiederum zu entdecken, ist gleichsam ein zweiter Blickwinkel auf das Programm: Denn viele Komponisten haben mehr oder minder konkreten Bezug zu anderen Komponisten anderer Zeiten, ihren Werken, Formen und Gattungen genommen.

Der Engländer Gordon Jacob (1895-1984) steht in dieser Hinsicht in der Nachfolge seiner komponierenden Landsleute Gustav Holst und Ralph Vaughan Williams. Als deren Schüler führt Jacob gewissermaßen den Gedanken des Alten im Neuen fort, indem er oftmals Themen von Komponisten der englischen Renaissance oder Melodien von alten englischen Volksliedern in seinen Kompositionen verwendet. Sein Bläserwerk Old wine in new bottles nimmt metaphorisch genau jenen Gedanken auf und spinnt im Grunde den roten Faden des Konzertes fort: Jacob formt dabei jeweils vier englische Volkslieder unterschiedlichen Charakters zu einer Suite. Der Inhalt des ersten Liedes The wraggle taggle gipsies ist schnell erzählt: Eine junge Dame gibt ihr luxuriöses Leben auf und reist mit einer Truppe Vagabunden um die Welt. Infolgedessen gestaltet Jacob eine unbekümmerte, frivole Szenerie mit transparenten Texturen, die das alte englische Lied in vielen Stimmungen einfängt und sehr eindrucksvoll Jacobs kreative Verarbeitungstechniken von Imitation, Reduktion, Augmentierung und Diminuierung des anfänglichen Themas aufzeigt. Der zweite Satz The three ravens ist ein eher melancholisches, von Trauer und Verlust gezeichnetes Tableau, das Jacob entsprechend des Liedcharakters durch erweiterte Harmonisierung und spannende Instrumentierung aufzufangen weiß. Begone, dull care setzt dann wieder die anfängliche Unbekümmertheit und Fröhlichkeit fort und kommt mit seiner pfiffigen Variationsfolge als dritter Satz alles andere als „dull“ (= langweilig, uninteressant) daher. Die Suite endet sodann narrativ, von einem morgendlichen Sonnenaufgang (Early one morning) erzählend, der nichts anderes als die leichtsinnige Liebe einer jungen Frau zu einem sprunghaften Mann beschwört – die wiederum, man mag es ahnen –, nicht gut ausgeht. Und so erklingt die Musik auch hier wieder in unterschiedlichen Stimmungen: Vom cantilenenhaften Liebesgesang in den Holzbläsern, den Betrug erahnenden aufbrausenden Sechszehntel-Passagen im Tutti bis zur schmachtenden Weise, die von Sehnsucht und Herzschmerz kündet.

 

Mit David Maslanka (1943-2017) steht im Folgenden wieder ein Komponist auf dem Programm, den die Bläserphilharmonie Osnabrück in den vergangenen Jahren immer wieder interpretierte: so brachte das Orchester 2017 die monumentale Vierte Sinfonie und zuvor Maslankas Doppelkonzert für Querflöte und Violoncello O Earth, o Stars (2012) als deutsche Erstaufführung zur Aufführung. Maslanka überrascht immer wieder mit seinen melodischen Wendungen, die oftmals in kühnen Harmonien bei unkonventioneller Instrumentation Extreme ausloten. Gleichermaßen überwältigt und fordert er Musiker wie Hörer zugleich, in seinen ausladenden Kompositionen seinem dramaturgischen Konzept zu folgen.
Maslankas Recitation Book geht all diese Wege im Kleinen, im kammermusikalischen Rahmen für Saxophon-Quartett. Und so erklingt denn – den roten Faden des Konzertes weiterspinnend – im ersten der vier Sätze ein Madrigal (Ecco moriro dunque) des berühmten Renaissance-Komponisten Gesualdo di Venosa, der selbst um 1600 schon derart kühn mit Melodie und vor allem Harmonie – um die zumeist verwendete Liebeslyrik musikalisch plastisch darzustellen – hantierte, dass der Weg zu Maslanka kein weiter ist. Es folgt attacca, ganz der üblichen Praxis folgend, ein zunächst im Tenor(saxophon) erklingender gregorianischer Choral (O Salutaris Hostia), der sich sodann durch 5/8-, 3/8- und 7/8-Takten hindurch schlängelnd, raffiniert entwickelt. Im nachfolgenden dritten wie auch vierten Satz verwendet Maslanka wie in vielen seiner Kompositionen einen Choral als Grundlage. Zunächst erklingt eine Meditation über die Choralmelodie Der du bist drei in Einigkeit, worauf unsere Auswahl der Sätze, des eigentlich fünfsätzigen Quartetts, mit dem Choral Jesu meine Freude, zunächst in der berührenden Bearbeitung Maslankas und schließlich in der Harmonisierung Bachs endet.

 

Steht der Engländer Philip Sparke (*1951) mit seinem umfassenden Œuvre eigentlich für die große sinfonische Bläserliteratur (durch alle Schwierigkeitsgrade), so zeigt er sich in der Ouverture for Woodwinds einmal von der kammermusikalischen Seite und demonstriert anschaulich, seinen vor allem melodischen Genius, der wie so häufig in seinen Orchesterwerken mit rhythmischer Finesse gepaart ist. Die Ouvertüre beginnt zunächst mit einer kraftvollen Unisonopassage, entwickelt sich dann aber zu einer leidenschaftlichen Legatomelodie, die das thematische Material des Werkes vorstellt. In der folgenden zentralen Vivo-Passage wird diese nunmehr ausgearbeitet. Eine Überleitung mündet in einen kurzen Choralabschnitt und einen rhythmischen Höhepunkt, der in einem klagenden Oboensolo über Staccato-Klarinettenfiguren ausläuft. Diese Melodie wird von der ganzen Gruppe aufgegriffen und führt schließlich zur Wiederaufnahme des Hauptthemas und weiterem, bereits bekanntem musikalischen Material. Noch einmal erklingt die Oboenmelodie in triumphierendem Dur, dann folgt mit der Unisonopassage vom Anfang eine bewegte Coda.

 

John Mackey’s (*1973) Sheltering Sky besticht durch seine scheinbare Einfachheit und Schlichtheit und will als ein nostalgisches Porträt der Zeit der großen englischen Komponisten wie Holst, Vaughan Williams oder Jacob verstanden werden. Das Werk selbst hat daher eine vom Komponisten beabsichtigte volksliedhafte Qualität, durch die ein unmittelbarer Vertrautheitsgrad entstehen soll. Anders als die genannten Komponisten, die vorhandene Melodien in ihre Werke integrierten, greift Mackey ähnlich wie Percy Grainger jedoch auf eigenes Material zurück (Andeutungen an Danny Boy oder Shenandoah lassen sich durchaus wahrnehmen). Vielmehr sollen jene Allusionen ein Gefühl von vertrauter Distanz – wie ein erinnerter Traum – hervorrufen. Und so entfalten sich, wie aus der Ferne klingend, nach einer nostalgisch klingenden Einleitung zwei volksliedhafte Melodien wehmütig (in Oboe und später in der Trompete), die Mackey im Weiteren verarbeitet. Mackey vermeidet dabei traditionelle Harmonien und wählt stattdessen „undeutlichere“ Akkorde mit z.T. dissonanten Erweiterungen. Die Melodien selbst entfalten und verflüchtigen sich schließlich darüber, um jene nostalgische Stimmung zu erzeugen.

 

Malcom Arnolds (1921-2006) dreisätzige Komposition Water Music ist dem Titel nach, ähnlich wie sein konzeptioneller Vorgänger (Georg Friedrich Händels Wassermusik), ein Auftragswerk. In diesem Falle als Open-Air-Musik für die Wiedereröffnung des Stratford Canals im Jahre 1964.
Eine Blechbläser-Fanfare eröffnet das Allegro maestoso. Sie liefert mit ihren dissonanten Septimen das Grundmaterial für alle weiteren melodischen Entwicklungen innerhalb des Satzes. Das folgende Andantino lebt hingegen von einem lyrischen, geradezu einlullenden, weil wiegenden 6/8-Thema, welches fünfmal gespielt wird, jedes Mal jedoch eine kleine Terz höher, sodass sein letztes Erscheinen wieder in der Ausgangstonart liegt. Das Finale (Vivace) wird wieder von den Blechbläsern dominiert, jedoch nunmehr eingerahmt von virtuosen Passagen im Holz, die dem abschließenden Satz Größe und Fulminanz verleihen.

Jens Schröer (Texte)

 

Förderer und Unterstützer

 

Das Projekt wird durch Mittel des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und des Deutschen Musikrats gefördert.

Wir danken sehr herzlich der Firma Ebrecht-Reker für die freundliche Unterstützung des Projektes. Zudem bedanken wir uns bei der Domgemeinde Osnabrück und der Ev.-Luth. Gemeinde der Christuskirche Hasbergen für die Möglichkeit der Aufführung in ihren Kirchen. Ferner danken wir der Musik- und Kunstschule der Stadt Osnabrück, dem Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Universität Osnabrück, dem Gymnasium Carolinum und der Domschule Osnabrück.

 

Alles rund um die Akteure des Konzertes

 

Sie möchten noch mehr über die Bläserphilharmonie Osnabrück erfahren? Dann stöbern Sie gern weiter auf unserer Homepage!